Nach einem Seminar, in dem es um Gesundheit und Heilung und die Verbindung von Körper und Seele ging, kam Gabriela Thur mit einem wesentlich jüngeren Teilnehmer ins Gespräch. Sie bemerkte, dass trotz der großen Unterschiede bei Alter, Geschlecht, Lebenserfahrungen, etc. sie sich sehr angeregt unterhalten und sehr verbunden gefühlt hat. Dieses Gespräch war ihr noch so im Herzen, dass sie zuhause dieses Bild malte, ohne dafür einen Titel, ein Konzept oder eine Erklärung zu haben. Als etwas später ihr Bruder aus Irland zu Besuch kam, sich das Bild ansah und ohne, dass er irgendetwas über das Bild oder die innere Erfahrung seiner Schwester wusste, sagte er vollkommen komplett und spontan: „Oh Jesus, that’s the Holy Ghost“ – „Das ist derHeilige Geist!“ – da wusste Gabriela Thur, dass das der Titel zu diesem Bild sein musste.
Ich möchte nun auf die Farben und die Formen eingehen und etwas sagen, was mir aufgefallen ist und welche Bedeutungsmöglichkeiten mir in den Sinn kamen. Ich versuche etwas in Worte zu fassen, was durch das vorangegangene Betrachten sich in mir abbildete. Die Worte können vielleicht wieder anregen, das Bild zu betrachten. Dabei ist das Betrachten und das Wirken lassen des Bildes, das Eigentliche. Nicht der Kopf, sondern auch das Herz, unsere Seele kann berührt werden.
Auf mich wirkt das Bild wie eine moderne Ikone. Ikonen sind Kult- und Heiligenbilder, die überwiegend in den Ostkirchen, besonders der orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus von orthodoxen Christen verehrt werden. Eine Ikone ist ein Fenster zur Wirklichkeit Gottes. Seine unsichtbare Dimension schimmert hindurch und kann erahnt werden.
Und das Bild zeigt ein mehrdeutiges Symbol, ein Sinnbild oder ein Zeichen, das über sich hinaus auf etwas Allgemeines verweist.
Farben: Gelb und Blau.
- Durch seinen warmen Glanz wurde Gelb zum Symbol für die Sonne, das Licht, für Beständigkeit und Weisheit. Gelb und Gold werden oft gleichgesetzt, dann steht es auch als Statussymbol für Reichtum und Überlegenheit. Gold steht für Heiligkeit und Reinheit, denn das Metall bleibt auch rein, wenn es in Schmutz getaucht wird. Gold ist kostbar, wertvoll, Ausdruck der Verehrung Gottes.
- Blau: wie der Himmel und das Meer, sanftmütig und ruhig und klar. Die Ruhe ergibt sich aus der Distanz und aus der Natürlichkeit sowie aus der tiefen Reinheit. Besonnenheit und Neutralität, Vertrauen und Klarheit werden durch die Farbe Blau ausgedrückt. Doch gleichzeitig drückt die Farbe auch Distanz aus: In der Natur ist alles Blaue weit entfernt und in einigen Fällen gar nicht erreichbar. Zuverlässigkeit und Fantasie werden durch Blautöne mit Kühle und Sehnsucht verbunden. Die Symbolik der Farbe ist vielseitig und kann dementsprechend ganz unterschiedliche Emotionen und Wünsche ausdrücken.
- Die Farben sind im Bild bei genauerem Hinsehen nicht klar voneinander abgegrenzt. Das Gelb ist zur linken Seite dunkler, nach rechts heller, an den Übergängen nach rechts entstehen weiße Farbverwischungen auf dem blauen Grund. Es entsteht der Eindruck von Bewegung, es ergibt sich ein Feld wie eine Wolke. Es wird etwas ans Gelb angelagert, vom Gelb geht lichte Farbe über ins Blau.
Das Bild bezieht sich auf sich selbst. Es gibt keine äußeren oder konkreten Verweise, es zeigt keine Gegenstände, Personen oder Landschaften, es scheint kein oben und unten zu geben. Es schwebt gleichsam im dreidimensionalen Raum, weniger ruhend, eher dynamisch, in Farbe gebannte Bewegung. Es lebt nur aus der Spannung zwischen den Farben, zwischen Fläche und Symbol. Und doch hat das Bild etwas sehr Offenes und sich Öffnendes. Es zieht uns hinein in diese Dynamik.
Was für Formen sehen wir? Ich merke, wie ich das Bild innerlich auch drehen kann, gerade weil es kein eindeutiges Oben und Unten gibt. Ich hatte verschiedene Assoziationen.:
Flammen, ruhig lodernd: Der Heilige Geist kam an Pfingsten auf seine Jünger und blieb auf ihnen wie eine Flamme. Gottes Geist erfüllt den Raum, er ist präsent, er verbindet sich mit den Seinen und er verbindet die Seinen untereinander. Barrieren des Verstehens werden überwunden, die Jünger werden von Menschen aller Nationen verstanden, sie kommen zum Glauben, treten ein in diese große Verbindung mit dem Lebendigen. Gottes Geist erfüllt das All, durch seinen Geist ist alles geschaffen, was ist. Sein Atem spendet leben.
Haken: Gott angelt nach uns, sein Geist hakt sich in und bei unserem Geist ein, hakt sich in seiner Welt ein, zieht und beeinflusst sie.
Hand: Das gelb-goldene Symbol kann auch wie eine geöffnete Hand gelesen werden, eine Hand die sich ausstreckt, einlädt, empfängt oder austeilt. Gottes Geist, der sich nach uns ausstreckt, uns zu Gott und zu Leben einlädt, der uns Weisheit und Leben schenken will, der unseren Geist, unsere Gedanken und Gefühle aufnimmt und integriert.
Schale: empfangen, sich füllen lassen. Alles Leben braucht Zeit und Raum, zum Empfangen und Wachsen. Wir brauchen ein neues Geistesbewusstsein, damit wir nicht aus uns selbst, sondern aus Gottes Fülle und Kraft leben. Wir brauchen ein anderes Bewusstsein füreinander und für Gottes Schöpfung, dass wir nachhaltig Beziehungen bauen, damit wir nur das ernten und nehmen, was nachwächst. Damit wir nicht ausbeuten, nicht missbrauchen, sondern in Dankbarkeit empfangen. Wir haben die Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen. Gott hat die Erde nicht am Anfang gemacht und dann sich selbst überlassen. Sondern alles Leben fließt aus seiner Ewigkeit beständig hinein in unsere Zeit. Aus der Zukunft kommt sein Reich des Schalom, des Friedens uns entgegen. Die Schöpfung wird nicht verbraucht, sondern erneuert sich.
(umgedrehtes) Ohr: hören, wahrnehmen. Menschen können Gottes Wort hören, Gottes Ohr vom Himmel hört die Menschen. Der Geist hat mit gegenseitigem Zuhören und Lauschen auf die Stille zu tun. Hören auf den Atem, den Hauch, im Hebräischen: die Ruach Gottes.
Geöffnete Kreise: können wachsen, aufnehmen, sich verändern. Gott, sein Geist, kreist nicht nur um sich selbst, sondern er fließt in die Schöpfung, nimmt sie in sich auf. Die Schöpfung wird Teil der göttlichen Kommunikation. Wenn man genau hinschaut, sieht man einen gelb-goldenen Punkt, von dem die gelb-goldene Linie ausgeht. Wie ein Gravitationszentrum, um den die Flammen des Geistes kreisen und sich bewegen. Diese Goldene Mitte ist nicht mittig im Bild, durch diese Exzentrik entsteht wiederum eine Spannung und Dynamik. Aus christlicher Perspektive würde ich sagen: Ein Symbol, ein Hinweis auf Christus. „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. 16 Denn in ihm wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. 17 Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. (Kol 1,15ff.) So heißt es in einem der ältesten christlichen Lieder, dem sogenannten Kolosserhymnus. Er ist das Zentrum der Geschichte, er ist der Anker in der Zeit“ – so heißt es in einem moderneren Anbetungslied.
Dreifaltigkeit: drei Flammen, voneinander unterschieden, aufeinander bezogen. Symbol für die Gott über uns (Vater), Gott unter uns (Jesus) und Gott in uns (Heiliger Geist). Symbol für Ewigkeit, Zeit und Kairos, der von Gott erfüllte Augenblick der Begegnung.
Gabriela Thur schrieb mir: „Das ich dann letztendlich den Titel „Spirit“ für das Bild wählte, hat einen bewussten Grund. Zum einen traute ich mich damals nicht es „Holy Ghost“ zu nennen. Was mich dahin führte, es mit „Spirit“ zu bezeichnen. So bleibt der Begriff „Geist“ für den Betrachter frei und er bekommt damit die Möglichkeit, sich, so er denn möchte, dem Thema zu nähern und zu begegnen“.
Ich konnte das immer wieder beobachten. Und selbst mir geht es so, wenn ich es länger nicht direkt sah, wie einladend und beweglich es daher kommt.
Ole Jaeckel-Engler
Stadtmissionar